Forschungsstelle für
empirische Sozialökonomik e.V.
(Office for Empirical Research on Social Economics)
Steuer- und Finanzpsychologie
Traditionell schließen die Wirtschaftswissenschaften zur Erklärung ökonomischen Verhaltens soziale oder psychische Faktoren
weitgehend aus und beschränken sich bei ihren Analysen auf das Modell des Homo oeconomicus, der rational entscheidet und
sich dabei am maximalen ökonomischen Nutzen orientiert.
In Abgrenzung zum wissenschaftlichen Mainstream entwickelte Günter Schmölders bereits in den 1950er Jahren das Konzept der
sozialökonomischen Verhaltensforschung, um mit deren Hilfe ökonomisch relevantes Handeln mit Hilfe von
Erkenntnissen aus sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen zu erklären.
Empirisch ausgerichtete wissenschaftliche Beiträge sollen die Grundlage für eine allgemeine sozialökonomische Verhaltenstheorie
schaffen. Die sozialökonomische Verhaltensforschung greift zur Erklärung des ökonomisch relevanten Verhaltens auf
empirisch-theoretische Ansätze der Soziologie, Sozialpsychologie, Psychologie und Anthropologie zurück. Zur Überprüfung
ihrer theoretischen Ansätze bedient sie sich der Techniken, die die moderne empirische Sozialforschung anbietet.
Günter Schmölders gilt als Pionier der deutschen Steuerpsychologie. Er erweiterte bestehende Modelle und theoretische
Ansätze um finanz- und sozialpsychologische, politologische und soziologische Aspekte und prägte Begriffe wie
Steuermoral und Steuermentalität.
Seit der Gründung der Forschungsstelle zählt die Steuer- und Finanzpsychologie zu den zentralen und traditionellen
Forschungsgebieten und umfasst ein weites Spektrum aktueller Forschungsthemen: Steuerbelastung und Steuerwiderstand,
das Zensitenverhalten mittelständischer Unternehmen, die Belastung privater Haushalte durch indirekte Steuern,
die Wahrnehmung und Einstellung zu steuer- und finanzpolitischen Problemen gehören zu den Inhalten empirischer
Forschungstätigkeit des Institutes, sowohl auf nationaler Ebene als auch im internationalen Vergleich. Allein in
den 90er Jahren wurden fünf empirische Studien zur Steuerpsychologie durchgeführt (1990, 1994, 1995, 1997 und 1999);
2008 folgte die bislang letzte Untersuchung.
Im steuerpsychologischen Modell von Schmölders sind subjektive Steuerbelastung, Steuermentalität und Steuermoral die relevanten Größen, aus denen Steuerwiderstand erwächst. Dieser Widerstand kann in legale Formen wie Steuervermeidung oder Steuerausweichung münden, aber auch in Steuerhinterziehung.
Entstehung von Steuerwiderstand nach Schmölders/Hansmeyer
(Schmölders, G.; Hansmeyer, K.-H.: Allgemeine Steuerlehre. 5. Auflage, Berlin 1980)
Auf der Grundlage theoretischer Fortschritte und empirischer Erkenntnisse wurde das Modell
von der Forschungsstelle zu einem Stimulus-Organism-Response-(S-O-R)-Modell
des steuerlichen Entscheidens und Verhaltens weiterentwickelt.
Demzufolge werden Steuerpflichtige auf der Stimulus-Ebene von den steuerlichen
Rahmenbedingungen, dem konkreten Prozess der Besteuerung sowie von
sozialen und medialen Einflüssen geprägt. Dies wirkt sich (auf der Organism-Ebene) auf ihre
Aufmerksamkeit und ihr Informationsverhalten aus, führt zu
Wahrnehmungsverzerrungen und einem subjektiven Bild der Besteuerung. Der
Entscheidungsprozess hängt ab vom individuellen Steuerschema, das
relevante Kenntnisse und Bewertungen zum Thema Steuern umfasst, sowie
von verschiedenen Entscheidungsfaktoren wie etwa Emotionen,
Motivationen, Risikobereitschaft oder Involvement. Der
Entscheidungsprozess kann somit sehr bewusst und unter hoher
kognitiver Aktivierung verlaufen oder aber eher impulsiv, intuitiv und beiläufig.
Am Ende entscheidet sich das Individuum (auf der Response-Ebene) für ein mehr oder weniger
steuerehrliches Verhalten. Dabei bilden bewusste Compliance und
vorsätzliche Noncompliance, also die Erfüllung oder Verweigerung der
Steuerpflicht, gewissermaßen die Pole des Handlungsrahmens; ebenso kann
es zu notgedrungener Steuerehrlichkeit oder versehentlicher
Noncompliance kommen.
Modell des steuerlichen Entscheidens und Verhaltens